Hier ist fast immer Weihnachten, sogar doppelt - im Kleiderladen
Im Kleiderladen ‚Second Hand Apparel – by DRK Rüthen‘ schenken Kunden Kleidung aus zweiter Hand ein neues Leben. Dreimal die Woche, Dienstag, Donnerstag und Samstag, öffnet das Kleiderladen-Team für drei bis vier Stunden seine Türen. Ich war neugierig, wie die ersten Wochen seit der Eröffnung in Juli gelaufen sind. Darum habe ich mich unter das Team und die Kundschaft gemischt.
Alle Bevölkerungsschichten sind eingeladen
Ich wollte das Team kennenlernen, herausfinden, wie die ersten Wochen gelaufen sind. Im Vorfeld meines Besuches hatte ich mich im Netz über Altkleider informiert. Aber, was ich im Netz sah und hörte, habe ich schon direkt hinter der Eingangstür über Bord gekippt: Ausschuss oder die berüchtigten Ekel-Klamotten, sowas gibt es hier nicht. Die Kleidungsstücke, die Mitarbeiterinnen im Lager nach Jahreszeit sortieren, haben niemals einen Sammelkontainer von innen gesehen.
Im Team arbeiten hauptsächlich Damen
Chefin Yvonne Pedley begrüßt mich vor dem Laden und stellt mich ihrem Team in der heutigen Schicht vor. Marianne und Beate, beide jenseits der sechzig. Später wird noch Kimberley dazustoßen. So wie alle miteinander umgehen, miteinander sprechen, ist ihr Stolz auf das Projekt fast greifbar. Und der Respekt vor ihren Mitmenschen. Die Mitarbeiterinnen von ‚Second Hand Apparell‘ sind mit Herz und Seele dabei. „Unsere Kleiderspenden kommen fast ausschließlich aus der Region um Rüthen, persönlich von den Spendern. Wir werten das als einen großen Vertrauensvorschuss. Und irgendwie ist die Arbeit hier wie doppeltes Weihnachten. Schon das Öffnen der Kartons ist wie Geschenke auspacken. Und für unsere Kunden ist Weihnachten, wenn sie ein Stück finden, das sie schon immer gesucht haben oder nie zu finden hofften. Dann strahlen hier alle Gesichter.“
Die Anlieferung gestaltet sich kurz und knapp
Am Bürgersteig steigt ein Mann aus seinem Wagen und liefert einen Herrenwintermantel inklusive Nadelstreifenanzug ab. Beides sieht aus wie niemals getragen. „Über solch schöne Stücke freuen wir uns besonders“, erläutert mir Yvonne. Mantel und Anzug wandern kurz ins Lager und sicher bald in den Verkaufsraum. Sobald einige Zentimeter auf einen Kleiderständer frei werden. Aber so wie sich der kleine Laden mit Kunden gefüllt hat, werden weder Mantel noch Anzug lange auf einen neuen Besitzer warten müssen.
Es ist voll!
Jedes Fleckchen ist ausgefüllt mit Regalen, Verkaufsständern, Mitarbeiterinnen oder Kunden. Bereits seit den ersten Minuten herrscht ein höfliches Gedränge. Man nimmt aufeinander Rücksicht. Ein positives Miteinander auf der Suche nach dem persönlichen Highlight. Hinter einem Vorhang versteckt sich eine improvisierte Umkleidekabine. Beate ‚verkuppelt‘ eine frühlingsgrüne sportliche Steppjacke mit einer kleinen sportlichen Seniorin. Zu Recht, die beiden sind füreinander geschaffen, das Gesicht der Seniorin strahlt: „Die Farbe macht mich ja dreißig Jahre jünger!“
Sprache ist kein Hindernis
Marianne versucht zwei jungen Herren über jede Sprachbarriere hinweg klarzumachen, dass sie sich gerade aus dem Regal mit Damenhosen etwas aussuchen. Nach erklärenden Handzeichen für ‚Dame‘ und ‚Herr‘ heben sich die Augenbrauen in Erkenntnis. Man lacht herzlich über sich und findet gemeinsam an anderer Stelle etwas passendes für Herren. Der Abschied gestaltet sich mit ‚Salam!‘ und ‚Tschüss, bis bald!‘ multikulturell und herzlich.
Yvonnes Erfahrung ist: „Die Schüchternheit beim ersten Besuch in unserem Laden legt sich spätestens, sobald die Kunden merken, wieviel Spaß wir verstehen.“
Kleiderbügel gibt es in jeder Farbe und Form. Sogar mit Häkelüberzug. Die Verkaufsständer wurden gebraucht angeschafft, genau wie die kleine Eckbank mit Küchentisch für die Küche, die Schaufensterpuppen und der Schreibtisch, auf dem die Kasse steht. Die Renovierungsarbeiten stemmte der Ortsverein größtenteils in Eigenleistung oder mit Spenden. Mittel für Miete und Unterhalt kommen vorerst aus einem Förderfond des Landes, dem Stärkungspakt NRW.
Wir werden das schaffen
„Bis Mitte nächsten Jahres muss sich das Projekt selbst tragen“, erläutert mir Carl Pedley, der stellvertretende Rotkreuzleiter des Ortsvereins Rüthen. „Das werden wir schaffen. Second Hand Kleidung schlägt gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Die Herstellung neuer Kleidung verschlingt enorm viele Ressourcen. Wasser, Energie, Rohstoffe. Solange die Kleidung von irgendjemandem getragen wird, ist nichts davon verloren. Dass nichts neu produziert werden muss, spart nochmal. Die Kunden freuen sich über ihre neuen Kleidungsstücke. Wir freuen uns über die Freude der Kunden und über unseren Beitrag zum Umweltschutz. Also ich finde da keinen Fehler.“
Voll ist kein Ausdruck
Das kleine Lager im Hinterzimmer ist so pickepacke voll, dass wir uns aneinander vorbeiwinden müssen. Vollgestopfte Regale mit vorsortierter Winterkleidung reichen bis unter die Decke. Daneben stapeln sich prall gefüllte, ungeöffnete Kartons mit noch mehr gespendeter Kleidung und Schuhen. Mehrfach in der Stunde schichten Marianne, Beate und die inzwischen hinzugestoßene Kimberley, die Ware um, packen aus, sichten, ordnen ein, etikettieren und zeichnen aus. Lücken in Sortiment werden in Minutenschnelle mit frischer Ware gefüllt.
Unterkleidung und Socken kommen in den Verkauf, wenn sie originalverpackt ist. Und originalverpackt oder mit Etikett, das ist gar nicht so selten. Stellenweise finden sich in den Kartons sogar neue Designerstücke.
Etwas Erste-Hilfe ist auch im Angebot
Eine kurzatmige Kundin wird freundlich auf einen Stuhl genötigt. Der wird hinter der Kasse sowieso nur selten benötigt, denn die ehrenamtlichen Damen sind immer auf den Beinen. Für welche Gelegenheit die Kundin etwas sucht? Uni oder gemustert, rot, grün oder bunt? Herbstlich oder schon für den Frühling? Aus dem Gedächtnis greifen flinke Hände in Regale oder drehen Kleiderständer, bis das Passende gefunden wurde und die Augen der Kunden leuchten.
Und noch mehr Ware
Zwischendrin parkt diesmal eine Frau vor dem kleinen Laden des DRK und betritt mit einem Umzugskarton voller Herrenkleidung den vollgestopften Laden. Der brummt inzwischen vor guter Laune. Ob sie das hier abgeben könne? „Natürlich!“, wird sie von Yvonne Pedley begrüßt. Die Frau mustert den Raum. Yvonne hakt nach, fragt nach ihrem Anliegen. Sie würde gerne im Laden helfen antwortet die Frau. „Kein Problem. Komm vorbei, mach mit und alles weitere besprechen wir dann. In den Dienstplan trägt jeder ein, zu welchen Zeiten er kann.“
Intensive Betreuung statt intensiver Gespräche
Mich würde interessieren, was die Mitarbeiterinnen motiviert. Wie sie zum Team gekommen sind. Was sie machen, wenn sie nicht ehrenamtlich gute Laune verbreiten. Aber jeder hat alle Hände von zu tun. Gerade, dass einige Zwischenfragen möglich sind. „Beate, du berätst sehr professionell, kommst du aus der Textilbranche, aus dem Verkauf?“ „Oh, nein, ich komme aus der Medizin“, lacht sie und schon ist sie bei der nächsten Kundin. „Schuhe haben wir in diesem Regal.“ Die Kundin benötigt was Hübsches für eine Familienfeier. „Oh, hinten habe ich etwas sehr Schönes für Sie gesehen“, sagt Beate und ist wenig später aus dem Lager zurück, mit einer Auswahl nagelneuer Damenschuhe.
Zwischengedanken und Nachhaltigkeit
Mir schießt das Wort Wertschätzung durch den Kopf. Wer hier herkommt wird mit Wertschätzung behandelt. Das teuerste Kleidungsstück, das ich in den Händen halte, kostet vierzig Euro. Der überwiegende Teil wechselt für einen bis fünf Euro den Besitzer. Manches auch für weniger. Es wird aber nichts verschenkt. „Was umsonst ist, ist nichts wert. Und irgendwie müssen wir ja die Miete zusammenbekommen“, sagt mir Carl Pedley und schmunzelt, dann geht er hin und hämmert einen Nagel in die Wand. „Fest!“
Tiere gibt es hier auch
Während Carl den Arm einer in elegantes Blaugrün gekleideten Schaufensterpuppe richtet, schaue ich mich um. Eine weißgelbe Plüschente schaut mit schwarzen Knopfaugen von der Höhe ihres Regals auf mich herab. Ihr scheint dieses konzentrierte, friedliche Treiben, in mehreren Sprachen, mit diesen gelassen-freundlichen Menschen unterschiedlicher Herkunft, irgendwie rätselhaft zu sein.
Mir nicht. Sie sind so, die Kunden von ‚Second Chance Apparell‘ und die Menschen beim DRK.
Abschied mit bester Rückkehrabsicht
Ich schieße noch einige letzte Fotos und werde von Yvonne, Carl und ihrem Team herzlich und knapp verabschiedet. Schließlich warten die nächsten Kunden. Die möchte ich gerne bei einem nächsten Besuch zu Wort kommen lassen.
‚Second Chance Apparel – by DRK Rüthen‘ in der Mittlerestraße 1 in Rüthen, öffnet Dienstag und Samstag von 10-13 Uhr und an Donnerstagen zwischen 15-18 Uhr.